»Die richtigen Worte« – eine Leistung mit Exzellenzanspruch
„Wissenschaftspropädeutik liegt uns als Philologen am Herzen, weil die Wissenschaftspropädeutik neben der Vermittlung von vertiefter Allgemeinbildung und der allgemeinen Studierfähigkeit eine der Kernaufgaben der gymnasialen Oberstufe ist“ – so die DPhV- Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing in einem Interview in der Zeitschrift Profil (Ausgabe 5/2021; S. 12f). Weiter heißt es in ihrer Stellungnahme: „Schülerinnen und Schüler sollen lernen, dass es verschiedene Zugangsweisen zur Welt gibt, die gegenseitig nicht ersetzbar sind. Das heißt, nicht die naturwissenschaftliche Perspektive ist per se wissenschaftlicher oder wichtiger als die sozialwissenschaftliche oder die gesellschaftswissenschaftliche, sondern die Erkenntnisse der verschiedenen disziplinären Zugänge müssen je für sich wissenschaftlich-methodisch nachprüfbar sein, können sich aber gegenseitig nicht ersetzen.“
Auch in diesem Schuljahr dürfen wir uns an unserer Schule über den unermüdlichen Einsatz freuen, den Wissensdurst, die Vergangenheit zu erklären und das Können, unterschiedliche Ansätze zur Auslegung überlieferter Tatsachen in einen Gesamtkontext zu bringen: Philippka von Manstein hat in einer besonderen Lernleistung mit dem Thema “Betrachtung von Emotionalität in schriftlicher Kommunikation am Beispiel eines Gefallenenschicksals aus dem 1. Weltkrieg auf einer diachronen Ebene“ einen herausragenden Beitrag zur Erweiterung historischer Kenntnisse auf mikrohistorischer Basis im Zusammenhang mit dokumentationswissenschaftlichen Techniken, psychologischen Grundlagen und linguistischen Elementen geleistet. Damit konnten wir am Gymnasium Rietberg erneut einen Beitrag zur individuellen Förderung von Interessen und Begabungen durch unsere zusätzlichen Angebote sowie durch die kontinuierliche Betreuung der weit über den Unterricht hinausgehenden obligatorischen Inhalte leisten.
Inhaltlich beschäftigt sich die 45-seitige Arbeit mit der Transkription, Analyse und Einordnung von vier Briefen aus den Jahren 1914, 1915 und 1993, in denen es um das Gefallenenschicksal von Gerhard von Bassewitz, einem Ururgroßvater der Verfasserin, geht. Der Fokus wurde hierbei auf emotionale Aspekte in schriftlicher Kommunikation gelegt, sodass eine über die rein inhaltliche Ebene hinausgehende Interpretation angestrebt und auch erreicht wurde. In einer detaillierten und anhand von Quellen begründeten Analyse mit einer abschließenden Gesamtbilanz erklärt die Abiturientin Details der Kondolenzschreiben ihres Urgroßvaters väterlicherseits an die Ururgroßmutter mütterlicherseits. Hier wechselt Philippika von Manstein immer wieder sehr gekonnt von der konkreten Schriftanalyse auf die Metaebene und stellt somit die anhand von einzelnen Worten erfasste Emotionalität in den einzelnen Briefen in den Gesamtkontext der Personen-Beziehungen sowie den geschichtlichen Hintergründen. Hier wird bereits deutlich, dass diese Arbeit nicht nur ein Beitrag zur Identitätsfindung ist. Eine zusammenfassende Betrachtung mit sehr persönlichen Aspekten rundet die Arbeit ab. Abschließend arbeitet Philippka von Manstein noch einmal deutlich heraus, dass schriftliche Dokumente mit persönlicher Note im historischen Sinne ‚Erinnerungsort‘ sind, aber auch stets im Gesamtkontext gelesen und gesehen werden müssen.
Den Abschluss des Prüfungsverfahrens bildete am 18. Mai das Kolloquium mit Präsentation der Ergebnisse. Mit dem Zitat aus dem Werk ‚Die Bücherdiebin‘ leitete Philippka von Manstein ihren Vortrag ein: „Ich habe die Worte gehasst, und ich habe sie geliebt, und ich hoffe, ich habe sie richtig gemacht.“ Damit stellt sie einmal mehr heraus, welche Bedeutung und Macht geschriebenes Wort nicht nur für das individuelle Erleben hat, sondern unterstreicht eindrucksvoll, dass es zwischen Sender und Empfänger durch eine persönliche Bindung im historischen Kontext auch schwierig sein kann, die empfundenen Emotionen zu transportieren.
Damit konnte eine ertragreiche und fruchtbare sowie immer wieder durch interessante Erkenntnisse geprägte Zeit für Philippka von Manstein zusammen mit ihren Betreuungslehrern Heiner Koop, Viktoria Rath und Jessica Kramer zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden. Alle Beteiligten hoffen, dass diese konstruktive Zusammenarbeit, von der alle Seiten profitieren konnten, noch lange Zeit nachwirken und zum Erinnerungsort wird. Wir wünschen der besonders engagierten und begabten Abiturientin eine ebenso großen Erfolg für die weiteren Entscheidungen in ihrem Lebensweg.
Text: Heiner Koop, Jessica Kramer, Viktoria Rath