275 Jahre GNR – “Was sehen wir in einem Menschen, in den wir uns verlieben?“

Im Rahmen unseres 275 -jährigen Schuljubiläums spielte der Q1-Literaturkurs unter der Leitung von Benno Grote die Komödie „Was ihr wollt“ – in einer modernen Fassung „etwas frei nach Shakespeare“. Die zeitlos großen Fragen von Liebe, Geschlechterrollen und Identität werden mit der Flüchtlingsthematik verknüpft – einem letztlich ebenso überzeitlichen Thema der Menschheit. Shakespeares unsterbliche Komödie stellt Fragen: Sehen wir den Mann oder die Frau in dem Menschen, in den wir uns verlieben? Oder den Menschen? Das Fremde oder den Fremden? Das Gewünschte? Uns Selbst? Und wer sind wir überhaupt? Welche Rolle(n) spielen wir? Wer oder was sollen oder können wir sein? Wie lebt es sich „als Fremder“ in einer Gesellschaft? Das Publikum war an zwei Abenden der Ankündigung des Literaturkurses gefolgt, in der Cultura angeleitet durch das Stück hinter diese großen Fragen zu blicken.

Bereits beim Intro zeigte sich die angekündigte „Aktualität Shakespeares, heute, 402 Jahre nach seinem Tod“ (Programmheft) und Verknüpfung zur derzeitigen Flüchtlingsthematik: Beim Schiffbruch und der Rettung von Viola (feingeistig: Zoe) getrennt von ihrem Zwillingsbruder Sebastian (nachdenklich: Lars) wurden aktuelle Zeitungsmeldungen über die Flucht vor allem über das Mittelmeer, über Integration und Abschiebung etc. eingeblendet. Nach der Rettung Violas auf der Insel Teutonien beginnt sodann die erste Verwandlung – als ein klassisches Element der Komödie angelegt als Geschlechtertausch: Viola beschließt sich mit Hilfe der Kleiderspenden durch zwei Flüchtlingshelferinnen (pragmatisch: Rebecca und Michelle) als Mann Cesario zu verkleiden, da sie nicht mehr unter dem Schutz ihres Bruders steht und sich auch bessere Chancen bei der Arbeitssuche beim Besitzer des Fitnessstudios Mc Pump, Siegmar (sportlich- locker: Theo), ausrechnet. Violas Bewerbung ist erfolgreich und Siegmar scheint große Stücke auf sie/ihn zu halten, was nur noch mehr Neid bei Siegmars bisherigen zwei Angestellten bei Mc Pump (unbekümmert: Helin und Mia) hervorzurufen scheint.

Die Probleme nehmen hier bereits ihren Lauf: Viola verliebt sich in Siegmar. Dieser hält sie natürlich für einen Mann, ist in die reiche Erbin Angelina (edel: Dilara) verliebt und bekommt von ihr regelmäßig Abfuhren (Angelina: „Vor lauter Muskeln ist da kein Platz für das Herz“), die sein Ego herausfordern („Ich kriege jede“) und ihn zu einem noch exzessiveren Bodybuilding von mehr als vier Stunden pro Tag veranlassen. Hinzu kommen immer weitere Figuren und Verstrickungen à la Shakespeare: Siegmar spannt Cesario/Viola ein, bei Angelina für ihn zu werben, Angelina verliebt sich dabei in Cesario und versucht ihn/sie durch einen Trick wieder zu sehen. Antonio (wandelbar: Michelle), der Violas Bruder Sebastian aus der Seenot auf der Flucht gerettet hat, ist auch nicht der, der er scheint. Dann wird auch noch der arrogante Finanzverwalter Malvolio (extrovertiert: Aylin) von Maria, Angelinas Assistentin (streng- wortgewandt: Tamina), und Tobias von Rülp (dem Vetter Angelinas: André Filipe) mit der Hilfe von Fabia (einer weiteren Angestellten Angelinas: Lea-Marie) durch einen gefälschten Liebesbrief zu einem liebestollen Narren gemacht.

Zwei illustre Paare durchziehen das Stück: Zum einen der nichtsnutzige Tobias (O-Ton Maria: „Er hat einen unsteten Lebenswandel“) und sein noch nichtsnutzigerer Freund Christoph von Bleichwang (komödiantisches Talent: Luis) und zum anderen die zwei Närrinnen (wortgewandtes Talent: Frauke und Mira). Die zwei Freunde Tobias und Christoph sind dem Alkohol deutlich zugewandt und zu allem Unheil ist Christoph auch in Angelina verliebt, schafft es aber nicht, sie für sich zu gewinnen. Christoph scheitert hier an den eigenen Grenzen bzgl. seines Intellekts (über sich selbst: „Das kann ich nur mit Tapferkeit versuchen, denn Intelligenz hasse ich“) und seines Sprachvermögens (auch wenn er von sich selbst behauptet: „Ich lerne jeden Tag neue Wörter und ich kann bald alle beim Boxen „ok“ schlagen“). Das zweite Duo – die Närrinnen – sind dagegen rhetorisch überlegen, voller Wortspiele und zusammen mit der strengen Maria (Viola zu Angelina: “Machen Sie Ihren Drachen Maria etwas zahmer”) voller bissiger Kommentare zum Geschehen auf der Bühne (zu Malvolio: „Was machst du in der Kiste, deinen Verstand suchen?“).

Die langsamen Auflösungen und Entwirrungen nehmen Fahrt auf, als der Flüchtling Sebastian keine Hilfe mehr von Antonio will, weil „ich meine Helfer nur mit herunter ziehe“, dieser nur widerwillig von Antonio den Rat zur Arbeitssuche bei MC Pump erhält und Sebastian dort auf Viola/ Cesario trifft und langsam ahnt, wer sie/er wirklich ist…

Eine Komödie der Verwandlungen und Verstrickungen, die deutlich die Handschrift Shakespeares erkennen lässt und auf zwei klassische Elemente der Komödie zurückgreift: Das Zwillingsmotiv und der Geschlechtertausch. In der Bearbeitung sind auch regionale Bezüge zu erkennen: Die zwei Flüchtlingshelferinnen in der Kleidung des GNR-Schulsanitätsdienstes, Sebastian und Antonio, die auf der Suche nach Sehenswürdigkeiten vom „gestrichenen City-Outlet“ erfahren usw. Aktuelle Bezüge wurden zudem eingearbeitet: Die zwei Närrinnen, die über das Postfaktische und alternative Fakten sinnieren, der Priester (Rebecca Kobusch), der in sein Gebet mit einschließt: „Möge der Herr die Halswirbel von Hummels heilen“.

„Es ist nicht, wie es scheint“, resümierte Stephan Kömhoff-Paatz, Mitglied der erweiterten Schulleitung, am Ende des Premierenabends und blickte auf die großen Fragen des Stückes und die Schwierigkeit der Antworten, die am Ende bleibt, zurück. „So ist es auch, wenn man euch aus dem Unterricht kennt bzw. meint zu kennen und euch dann plötzlich so und damit ganz anders auf der Bühne sieht“, richtete Kömhoff-Paatz sich an die Q1-SchülerInnen aus dem Literaturkurs. Er dankte dem Kurs und dem Leiter Benno Grote für „das unglaubliche Engagement und die intensive Arbeit“, die sie in dieses Projekt gesteckt haben.

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