275 Jahre GNR – Ein Streifzug durch Philosophie und Literatur hin zu Facebook und Instragram

Anlässlich des 275-jährigen Schuljubiläums konnten wir in Zusammenarbeit mit kulturig e.V. und der Stadtbibliothek den Autor und Publizisten Björn Vedder für einen Vortrag gewinnen. Der Münchner mit Wurzeln im Raum Paderborn setzt sich als Autor des Buches „Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook“ (2017) mit der Veränderung unserer Kommunikationsgewohnheiten und sozialen Beziehungen im Zeitalter der „neuen Medien“ auseinander – ein hochbrisantes Thema, das er mit einer ganz eigenen Philosophie der Freundschaft verbindet, wie Thomas Hönemann, stellv. Schulleiter des GNR, in seinen Begrüßungsworten betonte.

Björn Vedder nahm die Zuhörer ab der ersten Minute bei der Entfaltung seiner Philosophie mit durch die Literatur und Philosophie. Große Theorien z.B. von Aristoteles, Hegel, Heidegger und Kant wurden herangezogen. Die Bezüge in seinem Vortrag reichten zurück bis zur Briefkultur des 18. Jahrhunderts zwischen befreundeten Schriftstellern, zu Gottfried Benn, Mark Twain, etc. Alles in teils verblüffender Art und Weise bezogen auf Freundschaft in Zeiten der sozialen Netzwerke. Auch zur Liebe und Suche nach dem Glück wurde der Bogen geschlagen.

Vedders Theorie in Kürze: Wir können uns nicht alleine unserer selbst willen lieben, dafür brauchen wir den anderen, der unsere Sucht nach Anerkennung erfüllt. Man selbst könne sich nur auf Werte wie z. B. Tugend hin überprüfen, nicht aber alleine um seiner selbst willen wertschätzen. Wir wollen von dem anderen als Individuum geliebt werden so wie wir sind, und nicht weil wir z.B. besonders tugendhaft sind.

Es geht um doppeltes Bespiegeln: „Ich wertschätze dich als liebenswürdig, weil ich will, dass du mich liebenswürdig findest.“ Facebook und Instagram bedienen die Befriedigung des (in gesteigerter Form pathologischen) Narzissmus somit in besonderer Weise, indem sie zum „Liken“ auffordern. Das ist NICHT neu, sondern ein uraltes Phänomen, das durch die sozialen Netzwerke nur in einem höheren Maße bedient und inflationiert wird.

Die Posts bei Facebook haben sich in den letzten Jahren durchaus gewandelt: Ich will etwas bieten in meinen Posts, das mich besonders und interessant macht. Das hat Positives: 1. Ich bin dadurch gezwungen, aus mir etwas Liebenswertes zu machen – trotz aller Unzulänglichkeiten oder gar Abgründe. 2. Ich muss Zurückhaltung an den Tag legen, um in der Freundschaft den anderen gelten und glänzen zu lassen, damit ich dann selbst gelte und glänze. 3. Ich muss mich in den anderen tief hineinversetzen, ihn selbst und seine Werte („seine Ordnung des Herzens“) kennen und gleichzeitig mich selbst sehr gut kennen, meine Werte („meine Ordnung des Herzens“), um uns vergleichen zu können und zu gegenseitiger Anerkennung, dem „Liken“, zu kommen. „Facebook braucht gar keinen Dislike-Button – wenn man weniger Likes erhält, hat das den gleichen Effekt. Das ist positive Korrektur: `Streng dich mehr an, Baby´“, so Vedder.

„Jetzt Sie“ – diese Aufforderung von Vedder ließ sich das Publikum nach der Entfaltung seiner im Übrigen frei vorgetragenen Theorie nicht zweimal sagen und es entstand eine intensive, niveauvolle Diskussion mit dem Autoren, in der manche Wortbeiträge seine Thesen bestärkten, andere sie deutlich hinterfragten: Haben wirklich alle diese Sucht nach Anerkennung? Sind Instagram und Facebook nicht “fake”, hole ich mir dann nicht nur Anerkennung für ein „verstelltes“ Selbstbild(nis)? Ist das nicht ein „trauriges“ Menschenbild: Ich genüge mir nicht selbst, ich muss mich präsentieren, um gemocht zu werden? …

Auch in dieser Phase der Veranstaltung zeigte sich die Komplexität von Vedders Freundschafts-Philosophie und sein Humor sowie die Gabe, die Gedanken anschaulich auf den Punkt zu bringen – „Liebe hat schon immer wehgetan“ – und mit berühmten Beispielen aus Wissenschaft und Literatur zu belegen.

Björn Vedder verstand es aber auch, die Chance aus dieser Lehre zu ziehen: „Die Suche nach Anerkennung ist ein gefährliches Ding“ und „Deshalb ist das die neue Ebene: Man muss den Narzissmus reflexiv einholen“.

Die Diskussion zwischen Publikum und dem Autor ging bei der „Signierstunde“ munter weiter. Auch weit nach Veranstaltungsende stand ein Grüppchen von Zuhörern vor der Tür des Progymnasiums und dachte das eben Gehörte miteinander weiter. Ein interessanter und anregender Abend also und sicherlich ein weiteres Highlight in der Veranstaltungsreihe des GNR zum 275-jährigen Schuljubiläum, das sicher mehr Zuhörer verdient hätte.

Herzlichen Dank besonders an die Mitarbeiter der Stadtbibliothek, Frau Neumann und Herrn Austermann, für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Veranstaltung.

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